Strömungen und Fahrverhalten nachbilden

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Nur ein wirklich erfahrener Binnenschiffer schafft es, das perfekt simulierte Schiff an der schwierigen Strömung vorbeizusteuern. Im Schiffsführungssimulator der Bundesanstalt für Wasserbau wird der Ist-Zustand simuliert – und die Situation nach einer baulichen Veränderung des Flusslaufes.

Schiffsführungssimulatoren für die Seeschifffahrt, die in der Ausbildung von Nautikern eingesetzt werden, gibt es schon länger. Der Simulator für die Binnenschifffahrt ist dagegen noch nicht etabliert, zumal es sehr viel schwieriger ist, die oft komplizierten Verhältnisse von Flussströmungen abzubilden. Gleichzeitig unterscheiden sich Binnenschiffe auf Grund ihrer Fahrtgebiete in ihren nautischen Ausrüstungen und Eigenschaften und damit in ihren Fahrfähigkeiten erheblich von Seeschiffen. Daher waren jahrelange Forschungen nötig, um das fahrende Binnenschiff im Simulator perfekt abzubilden.

Der Binnenschiffsführungssimulator im Karlsruher Hauptsitz der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) dient nun aber nicht der Ausbildung. Vielmehr prüfen die Forscher mit ihm, wie sich Baumaßnahmen auswirken werden. Wie ändern sich Strömungsverhältnisse, wenn beispielsweise flussbauliche Maßnahmen geplant sind? Erfahrene Flusskapitäne übernehmen dann das Steuer, durchfahren die Strecke und beurteilen die Situation aus ihrer Sicht. Die Experten aus der BAW beurteilen die Situation aufgrund der Daten, die aus der Simulation gewonnen werden. Es liegt auf der Hand, dass die Entwicklung des Simulators und die Modellierung neuer Flussabschnitte nicht billig sind. Eine misslungene Baumaßnahme kostet allerdings mehr als ein Vielfaches.

So wurde der Schiffsführungssimulator im Zusammenhang mit den Planungsarbeiten für die dringend notwendige Erneuerung der Eisenbahnbrücke in Hamm eingesetzt. Die Brücke überquert den Datteln-Hamm-Kanal. Künftig sollen dort bis zu 185 Meter lange Schubverbände fahren können. Eine Ausbauplanung nach den entsprechenden Richtlinien würde erhebliche Anforderungen an die Konstruktion der Brücke nach sich ziehen und die Baukosten in die Höhe treiben. Unter Ausnutzung aller örtlichen Möglichkeiten und aller Fähigkeiten der Schubverbände konnte mithilfe des Schiffsführungssimulators eine Lösung entwickelt werden, die keine zusätzlichen Anforderungen an die Brücke stellt.

Das Beispiel zeigt, weshalb im Wasserstraßenbau eine Forschungseinrichtung benötigt wird, wenn neue Baumaßnahmen anstehen. Die BAW berät die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) in allen verkehrswasserbaulichen Fragen. Sie begutachtet alle Bauten auf und an Flüssen und Kanälen, also von Wehren über Schleusen bis hin zu Leuchttürmen. Da eine neue Schleuse im Einzelfall hunderte Millionen Euro kosten kann und der Bau viele Jahre dauert – etwa die neue Schleuse in Brunsbüttel von der Elbe zum Nord-Ostsee-Kanal -, muss die Planung perfekt und auf dem neuesten Stand der Wissenschaft sein.

„Während die meisten Ressortforschungseinrichtungen ausschließlich Politikberatung für ihr jeweiliges Ministerium machen, finden bei uns sowohl Politikberatung für das Bundesverkehrsministerium als auch Projektberatung für die WSV statt und dies bundesweit, das heißt von den Küsten an Nord- und Ostsee bis ins Binnenland nach Baden-Württemberg und Bayern“, so Professor Christoph Heinzelmann, Leiter der Bundesanstalt für Wasserbau.

Die Techniker, Ingenieure und Wissenschaftler der BAW bearbeiten Fragestellungen im Verkehrswasserbau ganzheitlich. Dadurch können sämtliche technischen Aspekte umfassend berücksichtigt werden. In riesigen Hallen modellieren die Mitarbeiter Flussläufe samt Bodenstruktur im verkleinerten Format von 1:10 bis 1:100. Derzeit finden sich dort die Mündung der Lahn, mehrere Kilometer Rhein im Bereich der Loreley und ein Teil der Oder.

Es geht bei der BAW aber nicht nur um den Neubau, sondern auch um die Erhaltung und Sanierung bestehender Ingenieursbauten. Das Bundeswasserstraßennetz in Deutschland hat einschließlich der dazugehörigen Infrastrukturbauwerke wie etwa Schleusen, Wehre, Düker, Kanalbrücken, Brücken und Leuchttürme ein Anlagevermögen von rund 50 Milliarden Euro. Die Altersstruktur der Verkehrswasserbauwerke wird zunehmend ungünstiger. Bei Schleusen sind mehr als 35 Prozent älter als 80 Jahre. Sie haben also ihre bisher vorgesehene technische Nutzungsdauer überschritten. Würde man alle alten Bauwerke sanieren, wäre das nicht finanzierbar. Auch gibt es technische Anlagen, die zwar ihre Nutzungsdauer deutlich überschritten haben, aber noch gut in Schuss sind, während manch eine neuere Anlage dringend saniert werden muss.

Forscher der BAW entwickeln daher ein IT-gestütztes Erhaltungsmanagementsystem (EMS). Es basiert auf den vorgeschriebenen regelmäßigen Bauwerksinspektionen. Diese erfolgen nach einem bundeseinheitlichen Leitfaden. Die Inspekteure bewerten den Zustand der Bauwerke wird nach einem vierstufigen System. Es liegt auf der Hand, dass als „ungenügend“ eingestufte Bauten zuerst saniert werden müssen. Da aber jahrelange Bauzeiten und Millionen Euro teure Maßnahmen langfristig geplant werden müssen, bietet das System gleichzeitig Zustandsprognosen für intakte Bauten und damit für den Zeitraum bis zu dem eine Sanierung unaufschiebbar werden wird.

Der nächste Schritt, an dem die BAW derzeit arbeitet, ist eine Einbeziehung der Instandhaltungskosten. So lassen sich zukünftig erforderliche Finanzmittel und die Reihenfolge von Maßnahmen planen. Daneben werden andere Kriterien einbezogen, wie etwa die Bedeutung des Objektes für die Schifffahrt oder die Gefahr, die im Schadensfall von dem Objekt ausgeht. In der Endausbaustufe soll das Erhaltungsmanagementsystem dann mit standardisierten, objektiven Zahlen den Entscheidungsprozess innerhalb der Instandhaltungsplanung maßgeblich unterstützen.

Die Bundesanstalt für Wasserbau (BAW) ist eine technisch-wissenschaftliche Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI). Die BAW verfügt über eine umfassende Kompetenz und Erfahrung auf dem Gebiet des Verkehrswasserbaus. Sie ist weltweit eine der führenden verkehrswasserbaulichen Beratungs- und Forschungseinrichtungen und maßgeblich an der Weiterentwicklung dieser Disziplin beteiligt. Ihr Haushalt beträgt ca. 46 Millionen Euro (2016). In den beiden Standorten (Karlsruhe und Hamburg) arbeiten etwa 410 Menschen. Bearbeitet werden etwa 800 Projekte und 100 Forschungsvorhaben. Die BAW arbeitet in rund 300 nationalen und internationalen Ausschüssen mit und kooperiert weltweit mit etwa 50 wissenschaftlichen Einrichtungen.

Quelle und Foto: BAW, Der Erhalt großer technischer Wasserbauten bedarf wissenschaftlichen Sachverstands

 

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