Bündnis fordert aktive Industriepolitik

Der größte Industriestandort in Schleswig-Holstein, der ChemCoast Park Brunsbüttel, ist in den vergangenen Monaten aufgrund des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs – den alle Partner des Industriepolitischen Bündnisses in jeder Hinsicht verurteilen – in den öffentlichen Fokus der bundesweiten Energieversorgung gerückt. Mit der energiepolitischen Entscheidung der Bundesregierung, ein landseitiges LNG Import- und Distributionsterminal in Brunsbüttel zu errichten und vor Ort als Zwischenlösung ein schwimmendes LNG-Terminal (FSRU) zu nutzen, sowie den Planungen von RWE zur Errichtung eines Ammoniak-Importterminals, positioniert sich der ChemCoast Park Brunsbüttel derzeit als führender Importstandort bzw. -hafen für LNG und Wasserstoff(-derivate) in Deutschland.

Aus Sicht des Industriepolitischen Bündnisses, das seit 2015 aus dem DGB Bezirk Nord, der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie und Energie (IGBCE) sowie der Werkleiterrunde des ChemCoast Park Brunsbüttel besteht, sind die aktuellen energiepolitischen Entwicklungen nicht nur für die Versorgungssicherheit privater Haushalte und Unternehmen in Deutschland von großer Bedeutung, sondern vor allem auch für die Dekarbonisierung der Industrie im ChemCoast Park Brunsbüttel und stellen somit eine wichtige Weichenstellung für den gesamten Standort dar. Frank Schnabel, Sprecher der Werkeiterrunde des ChemCoast Park Brunsbüttel, hebt hervor: „Der ChemCoast Park Brunsbüttel hat jetzt die einmalige Chance, sich als wettbewerbsfähiger Energiestandort der Zukunft zu positionieren. Unser Industrie-, Hafen- und Logistikstandort bietet unmittelbaren Zugang zu zukunftsorientierten Energiequellen wie LNG als Brückentechnologie sowie grünen Energieträgern wie Wasserstoff, Ammoniak sowie regionalem On- und Offshore Windstrom. Dies ermöglicht zukünftig die Produktion von synthetischen Kraftstoffen und e-chemicals in dekarbonisierten Prozessen. Diesen klaren Standortvorteil haben auch die Investoren erkannt, sodass wir aktuell so viele Flächenanfragen für Unternehmensansiedlungen verzeichnen wie nie zuvor. Die Verfügbarkeit unterschiedlicher Energieträger ist somit eine echte Chance für die langfristige Wettbewerbsfähigkeit des Standortes und der zukunftsorientierten Unternehmen vor Ort. Die bereits getätigten Investitionen in hohen dreistelligen Millionenbeträgen untermauern dabei die Attraktivität des ChemCoast Park Brunsbüttels.“

Laura Pooth, Vorsitzende des DGB Bezirks Nord, unterstreicht: „Verlässliches und zukunftsgerichtetes staatliches Handeln von Land und Bund ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Gestaltung des Wandels in eine klimagerechte industrielle Wertschöpfung. Wir müssen jetzt die Chance nutzen, die bestehenden guten und tariflich abgesicherten Arbeitsplätze und damit Kaufkraft und Steuereinnahmen langfristig zu sichern und weiter auszubauen. Die Neuansiedlungen von Unternehmen entlang der gesamten Westküste zeigen deutlich, wie groß die Strahlkraft der Energieregion Westküste aktuell ist.“

Andreas Suß, Bezirksleiter und Vorsitzender der IGBCE, ergänzt: „Die Umstellung der Prozesse in den Unternehmen bedarf erheblicher Investitionen sowie langer Vorläufe und setzt Planungs- und Investitionssicherheit voraus. Die bisherige Energieversorgung ist so lange zu weltmarktfähigen Preisen zu erhalten bis die neuen Anlagen geplant, finanziert, genehmigt und in Betrieb genommen sind. Bereits jetzt ist der Zeitdruck hoch.“

Bereits heute werden von den im ChemCoast Park Brunsbüttel ansässigen Unternehmen aus der Chemie-, Mineralöl- und Energiewirtschaft sowie aus der Logistik und Hafenwirtschaft über 12.500 Arbeitsplätze in der Region beeinflusst, mehr als 4.000 davon befinden sich direkt in Brunsbüttel. Der Standort ist somit der wichtigste industrielle Kern Schleswig-Holsteins, den es auch gemäß der Empfehlung des Kieler Instituts für Weltwirtschaft politisch zu fokussieren und weiterzuentwickeln gilt. Denn Schleswig-Holstein weist aktuell einen vergleichsweise geringen Anteil am deutschen Bruttoinlandsprodukt auf, obgleich die deutsche Energiewende im nördlichsten Bundesland seit vielen Jahren aktiv gestaltet und umgesetzt wird.

Um den ChemCoast Park Brunsbüttel weiter zu stärken und die aus der Energiewende entstehenden Chancen für einen weiteren Beschäftigungsaufbau in Verbindung mit guter Arbeit zu nutzen, festigen die drei Partner im Industriepolitischen Bündnis nun ihren Schulterschluss und fordern von der neuen Landesregierung in Schleswig-Holstein eine proaktive Unterstützung mit einer aktiven Industriepolitik mit folgenden Schwerpunkten, wobei es die fettmarkierten Forderungen mit besonderer Dringlichkeit umzusetzen gilt:

1. Energieversorgung sichern und Erneuerbare Energien konsequent ausbauen

Die energieintensiven Unternehmen wollen zukünftig fossile durch erneuerbare Energieträger ersetzen und damit nicht nur einen wesentlichen Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern auch in zukunftsträchtige grüne Märkte vorstoßen. Hierfür bietet die gesamte Region Westküste enorme Standortvorteile, für die folgende Voraussetzungen erforderlich sind:

  • Schaffung politischer und gesetzlicher Rahmenbedingungen für die Produktion und Nutzung neuer Technologien wie grünem Wasserstoff
  • Umsetzung der Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren in den zuständigen, technisch und personell gut aufzustellenden Ministerien und den untergeordneten Behörden, insbesondere auch für die schnelle Realisierung der LNG-Terminals
  • Zügiger Ausbau der Off- und Onshore-Wind- und PV-Erzeugungsleistung
  • Zügiger und den zukünftigen Bedarfen angepasster Ausbau der Verteilnetze in der Region

Bis zur kompletten Umstellung auf erneuerbare Energien ist die Energieversorgung auf konventionellem Wege zu weltmarktfähigen Preisen zu sichern.

2. Ausbau der Verkehrsinfrastruktur – Zügig schnelle Verbindungen schaffen

Zur Erreichung unterschiedlicher Märkte und aufgrund des wachsenden globalen Wettbewerbs sind leistungsstarke Verkehrsverbindungen für dem ChemCoast Park erforderlicher denn je. Ebenso sind pendelnde Beschäftigte auf eine zügige und zuverlässige Verkehrsanbindung angewiesen. Aus diesem Grund fordern wir:

  • Den zweigleisigen Ausbau der Bahntrasse Itzehoe/Wilster – Brunsbüttel mit durchgängiger Elektrifizierung, Verlegung der Bahntrasse um das Werk der TotalEnergies Bitumen Deutschland GmbH herum, die Sanierung des Güterbahnhofes und die Ertüchtigung der Eisenbahnhochbrücke Hochdonn zur Verlagerung der weiter steigenden Gütermengen auf die umweltfreundliche Bahn
  • Den dreispurigen Ausbau der B5 zwischen Itzehoe und Brunsbüttel über Wilster hinaus
  • Die schnellstmögliche Fortführung der A20 inklusive westlicher Elbquerung bei Glückstadt
  • Die schnellstmögliche Fertigstellung der 5. Schleusenkammer, die Sanierung der bestehenden Schleusenkammern, die zügige Begradigung der Oststrecke sowie die Vertiefung des NOK auf gesamter Länge

3. Fachkräfte sichern – attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen gestalten

Attraktive Arbeitsbedingungen werden über gute Tarifverträge und eine hohe Tarifbindung gesichert. Neben dieser Grundvoraussetzung müssen aber auch die Lebensbedingungen für Fachkräfte in strukturschwächeren Regionen attraktiv gestaltet werden. Hierzu zählen:

  • bezahlbare Wohnraumangebote
  • wohnortnahe und qualitativ hochwertige Kitas und allgemeinbildende Schulen
  • technisch und personell gut ausgestattete berufsbildende Schulen
  • gute Einrichtungen der Gesundheitsversorgung
  • ein breites Kultur-, Sport- und Freizeitangebot

Ein gutes und breites Angebot an betrieblichen Ausbildungsmöglichkeiten mit Perspektive setzt außerdem personell und technisch gut ausgestattete Berufsschulen in der Region voraus.

4. Die Westküste politisch noch stärker forcieren – industriellen Wandel gemeinsam erfolgreich gestalten

Die gute Beschäftigung und den Wohlstand an der Westküste zu sichern, ist elementar und muss durch die neue Landesregierung in Schleswig-Holstein noch stärker fokussiert werden. An der Westküste können die zukunftsorientierten Unternehmen der Welt zeigen, wie klimagerechte industrielle Produktion an Chemieverbundstandorten funktioniert und Wertschöpfung sowie gute Arbeit nicht nur gesichert, sondern auch neu entstehen kann. Hierfür bedarf es nicht nur der Bündelung einzelbetrieblicher Interessen und Bedarfe, z.B. bezogen auf die Bereitstellung von ausreichend Grünstrom, Speichermöglichkeiten und regionalen Strom-, Wasserstoff- und Wärmenetzen. Auch Aus- und Weiterbildungsbedarfe und neue Sicherheitsanforderungen sind aus der Umstellung der Produktion abzuleiten. Nicht zuletzt muss in diesem Transformationsprozess der Dialog mit den Menschen vor Ort gesucht und für weitere Akzeptanz geworben werden. Aus diesem Grund muss die Position des Brunsbüttel-Koordinators weiter gestärkt, erforderliche Maßnahmen ministerienübergreifend koordiniert sowie zügig umgesetzt werden und auch eine noch enge Zusammenarbeit mit dem Bund etabliert werden.

Quelle und Foto: Brunsbüttel Ports GmbH , v.l.n.r.: Laura Pooth (Vorsitzende DGB Bezirk Nord), Frank Schnabel (Sprecher der Werkleiterrunde im ChemCoast Park Brunsbüttel) und Andreas Suß (Bezirksleiter und Vorsitzender der IGBCE)