Niedrigwasser: Vor allem Kettenanfang verzögert

Der Vizepräsident und Konjunkturchef des IfW Kiel, Stefan Kooths, kommentiert die aktuellen Produktionsbehinderungen durch das Niedrigwasser, speziell im Rhein.

„Unsere Berechnungen zu den Folgen des Niedrigwasser 2018 im Rhein („Zum Einfluss des Niedrigwassers auf die Konjunktur“ und „Niedrigwasser bremst Produktion“) zeigen, dass die Industrieproduktion um etwa 1 Prozent abnimmt, wenn die Pegelstände an der Messstelle Kaub die kritische Marke von 78 Zentimetern für einen Zeitraum von 30 Tagen unterschritten haben. In der Spitze wurde die Industrieproduktion seinerzeit um etwa 1,5 Prozent gedrückt, auf Jahressicht dürfte das Niedrigwasser etwa 0,4 Prozent an Wirtschaftsleistung gekostet haben.

Diese Berechnungen können dazu dienen, die Größenordnungen grob abzuschätzen. Allerdings ist die damalige Situation nicht eins zu eins auf heute übertragbar. Insbesondere war damals die Fallhöhe für die deutsche Industrieproduktion viel höher. Gegenwärtig kommt allerdings verschärfend hinzu, dass die Behinderungen durch das Niedrigwasser auf ohnehin schon sehr angespannte Lieferketten treffen, zudem ist die Binnenschifffahrt ein wichtiges Transportmittel für Energierohstoffe. Die Unternehmen dürften aber durch die Erfahrungen aus 2018 nun auch besser auf Ausfälle bei der Binnenschifffahrt vorbereitet sein, etwa durch den Einsatz anderer Schiffstypen. Zudem kann Produktion nur einmal ausfallen – was wegen der bestehenden Lieferengpässe schon stillsteht, kommt durch die Folgen des Niedrigwassers nicht nochmals zum Erliegen.

In Deutschland wird nur ein kleiner Anteil der insgesamt beförderten Güter per Binnenschiff transportiert (2017: 6 Prozent). Für einzelne Güterabteilungen wie „Kohle, rohes Erdöl und Erdgas“, „Kokerei- und Mineralölerzeugnisse“ sowie „chemische Erzeugnisse“ ist die Binnenschifffahrt allerdings für 10 Prozent bis 30 Prozent der Beförderungsmenge verantwortlich und somit von deutlich größerer Bedeutung. Diese Güter stehen am Anfang vieler Produktionsketten, sodass Ausfälle bei deren Transport zu Produktionsbehinderungen in nachgelagerten Produktionsstufen führen können. Ein Schock in einem kleinen Sektor – der Anteil der Binnenschifffahrt an der gesamten Bruttowertschöpfung in Deutschland liegt unter 0,2 Prozent – kann so beträchtliche Auswirkungen auf andere Sektoren haben.

Jeder weitere Belastungsfaktor drückt die wirtschaftliche Dynamik. Diagnostisch wie wirtschaftspolitisch ist bedeutsam, dass es im Wesentlichen produktionsseitige Hemmnisse sind. Einer Rezession im Sinne rückläufiger Kapazitätsauslastung sollte in einer solchen Konstellation daher nicht mit nachfragestimulierenden Maßnahmen begegnet werden.

Jede zusätzliche Produktionsbehinderung wirkt naturgemäß preistreibend, da die Diskrepanz zwischen Nachfrage und Angebot größer wird. Aus Inflationsgesichtspunkten geht es somit nicht allein um die Folgen steigender Transportkosten.

Insgesamt sind die wirtschaftlichen Folgen des Niedrigwassers zwar schmerzhaft, im Vergleich sind die negativen Auswirkungen der Lieferengpässe aber deutlich größer: Bis zuletzt blieb die Industrieproduktion aufgrund der Lieferengpässe um 7 Prozent hinter dem Niveau zurück, das angesichts der Auftragseingänge zu erwarten wäre.“

Quelle und Foto: Institut für Weltwirtschaft Kiel