Weltpolitik am Rande einer Neusser Baustelle

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Klaus Karl Kaster verfolgt die Arbeiten am Epanchoir mit großer Aufmerksamkeit und Begeisterung.
Klaus Karl Kaster verfolgt die Arbeiten am Epanchoir mit großer Aufmerksamkeit und Begeisterung.

Baggerarbeiten am Epanchoir machen schöne Fortschritte und bringen immer wieder Überraschendes ans Licht

Neusser, die schon einige Zeit lang nicht mehr an der Kreuzung Nordkanalallee/Selikumer Straße vorbeigeschaut haben, werden ziemlich erstaunt sein – gelinde gesagt. Denn derzeit klafft dort in der Erde eine überraschend große und tiefe Grube.

„Möglicherweise in diesen Tagen die größte Tiefbau-Ausschachtung
in unserer Stadt“ vermutet Klaus Karl Kaster, stellvertretender Vorsitzender des noch jungen „Vereins der Freunde und Förderer des historischen Nordkanals in Neuss“, der sich maßgeblich und erfolgreich für die Gewinnung von finanzkräftigen Sponsoren und Institutionen in und um Neuss eingesetzt hat.

Die bevorstehenden ambitionierten Restaurierungsarbeiten am napoleonischen Wasserkreuzungsbauwerk – Epanchoir – werden in wenigen Monaten dieses historische, technische Denkmal von internationalem Rang in altem Glanz erstrahlen lassen. Aber nicht nur, wie sich das der einstige Bauherr Napoleon vorgestellt hat, sondern darüber hinaus ergänzt einen kleinen Park und einen schmucken Info-Point. „Die Dimensionen unseres Projektes sind jetzt deutlich erkennbar“, meint Kaster und schaut auf die 45 mal 22 Meter große und über 5 Meter tiefe Grube, die zwischenzeitlich bis zu vier Bagger ausgehoben haben. „Damit führen wir den Nordkanal im Bereich des Epanchoir in einer Länge von 45 Meter so vor Augen, wie er geplant war, nämlich als Treidel-Schifffahrtsweg mit 22 Meter Breite!“ Die erfahrenen Baggerführer mussten jederzeit  Fingerspitzengefühl walten lassen, um ja nicht die vier  historischwertvollen Böschungskegel am befestigten Bassin zu beschädigen. „Auch das Tiefbaumanagement sowie das  Bodendenkmalamt der Stadt Neuss haben der Fachfirma ein hohes Maß an Können, Kompetenz und Feinfühligkeit zugebilligt“, schließt sich Kaster dem Lob der Fachinstitutionen an.

Die Mühe hat sich gelohnt: Während der Ausschachtung wurde neben der bekannten Inschrift auf Französisch an der Oberkante des zweiten Böschungskegels neben dem Wehrbau noch eine  zweite, und zwar in lateinischer Sprache und in gleicher Steinmetzkunst gefunden: „Recipiendis Erftae Aquis Egerendis – MDCCCIX Neapoleone Imperante“ steht hier verewigt. Übersetzt:
„Zur Aufnahme und zur Verteilung des Erftwassers“. Dass sich der französische Kaiser durch die Bezeichnung als „Neapoleone“ aus
seiner korsischen Herkunft in die Nähe des italienischen Kulturkreises rücken läßt, kann man als bewussten politischen und historischen Schachzug deuten. Große Weltpolitik am Rande der
wichtigen, aber überschaubaren Neusser Nordkanal-Baustelle!
Und jüngster schöner Fund: Man hat den Grundstein an
der Unterkante des Epanchoir-Mauerwerks freigelegt, fein gemeißelt: 1809. Eine weitere Überraschung erbrachten die Baggerarbeiten: Anders als bisher vermutet gab es zu Napoleons
Zeiten am Epanchoir keinen Durchstich von der Obererft in die Nordkanaltrasse.

Das war bislang als Grundlage der bis Mitte des 19. Jahrhunderts betriebenen Treidelschifffahrt Neuss – Schiefbahn – Neersen  angenommen worden. Die Wasserzufuhr musste damals aus anderen Quellen stammen. Die Fachleute des Bodendenkmalpflege
und des Tiefbauamtes der Stadt Neuss verfolgen aufmerksam
und engagiert beinahe jeden Schritt der Arbeiten. Man interessiert sich für die Sauberkeit der Freilegung, und jedes Teil wird genau
begutachtet, ob sich irgendetwas Wertvolles oder neue Hinweise mit historischer Bedeutung ergeben. Wenn die Ausgrabungen in der nächsten Zeit beendet sind, beginnt die umfangreiche  Denkmalrestaurierung des Epanchoir. Das Gelände wird zunächst detailliert vermessen und in Karten eingezeichnet.

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