Computer erkennen Muster in großen Datenmengen viel schneller als Menschen. Auch im maritimen Sektor können auf der Grundlage von Big Data und künstlicher Intelligenz große Effizienzfortschritte erzielt werden. Unter anderem kann dank dieser Technologie die Ankunftszeit von Schiffen in (See-)Häfen immer genauer und früher vorhergesagt werden.
Wer hat vor fünf Jahren schon von Alibaba gehört? Inzwischen ist der chinesische Online-Handelsgigant schnurstracks auf dem Weg zu einer Milliarde Kunden weltweit. Am 11. November 2018 machte Alibaba in kaum 85 Sekunden eine Milliarde Euro Umsatz. China, in der Vergangenheit vor allem für sein Kopierverhalten bekannt, ist gegenwärtig Vorreiter bei der Entwicklung künstlicher Intelligenz und anderer trendbestimmender Technologien. Nicht Öl, sondern Daten sind nach Meinung des Alibaba-Gründers Jack Ma der Kraftstoff der Zukunft. Es gibt auch immer mehr Technologien, die Daten generieren und teilen können. Im Jahr 2021 werden voraussichtlich über 11 Milliarden Geräte mit dem Internet verbunden sein. Während die Datenmenge exponentiell steigt, sinken schnell die Kosten der Datenanalyse.
Die Datenflut, die wir gegenwärtig produzieren, wird von Computern genutzt, um sich selbst zu schulen. Mit Pronto, einer Anwendung für standardisierten Datenaustausch im Bereich Port Calls, setzt auch der Rotterdamer Hafen auf diese Entwicklung. Nahezu die Hälfte der Reedereien, Agenturen, Terminals und anderer nautischer Dienstleister im Hafen nutzen das System, um ihre Tätigkeiten bei einem Port Call zu planen, auszuführen und zu überwachen. Pronto nutzt künstliche Intelligenz, um die Ankunftszeit von Schiffen im Hafen vorauszusagen. „Die Ankunftszeit der Schiffe wird von diversen Faktoren beeinflusst“, meint Arjen Leege, Senior Data Scientist beim Hafenbetrieb Rotterdam. „Zum Beispiel vom Schiffstyp und der Art der Fracht, genauso wie dem Standort, der Route, der Fahrgeschwindigkeit und den Bewegungen anderer Schiffe in der Nähe. Wir haben die entscheidenden Parameter zusammengestellt. In diesem Prozess fielen manchmal Parameter weg und neue kamen hinzu. Beispielsweise stellte sich heraus, dass auch die Anzahl der Male, die ein Schiff bereits im Rotterdamer Hafen gewesen ist, relevant ist.“
Als Datenquellen dienen unter anderem AIS und die Datenbanken des Hafenbetriebs, die die Ankunftszeiten der Schiffe an der Beladestelle enthalten. Auf Basis der Parameter entwickelten die Daten-Fachleute des Hafenbetriebs ein selbst lernendes Computermodell. Es wurde zu Anfang mit ungefähr 12.000 historischen Daten gespeist. Der Computer erkannte darin Muster, wodurch er lernte vorauszusagen, wie lange ein Schiff braucht, um von der Beladestelle zum Liegeplatz zu kommen. „Computer können komplexe Zusammenhänge viel schneller erkennen als Menschen“, meint Leege. „Gerade das ist die Kraft künstlicher Intelligenz. Dadurch, dass der Computer ständig mit aktuellen Daten versorgt wird, wächst seine Voraussagefähigkeit kontinuierlich. Inzwischen können wir bei ankommenden Schiffen bis auf 20 Minuten genau voraussagen, wann sie den Liegeplatz erreichen. Der Computer kann auch immer weiter in die Zukunft blicken und die Ankunftszeiten der Schiffe berechnen, die sieben Tage vom Rotterdamer Hafen entfernt sind. Dieser Voraussagehorizont kann so gedehnt werden, dass wir künftig die ganze Route eines Schiffs voraussagen können. Vielleicht sogar 30 Tage im Voraus, mehrere Häfen inbegriffen.“
Leege fährt fort: „Wenn wir die Dinge immer früher wissen, können wir den Einsatz unserer Ressourcen besser planen. Wenn man weiß, dass es im Hafen voll sein wird, kann man zum Beispiel bereits die Schleppaktivitäten erhöhen, indem man Schleppboote aus anderen Häfen nach Rotterdam holt. Pronto kann inzwischen auch identifizieren, welche Schiffe im Hafen gebunkert, gelöscht oder geschleppt werden. Vielleicht kommen langfristig neue Anwendungen hinzu, die wir uns momentan noch gar nicht vorstellen können. Das ist das Tolle an dieser Entwicklung.“
Durch den Einsatz künstlicher Intelligenz ist die Wartezeit der Schiffe im Rotterdamer Hafen bereits um 20 Prozent verkürzt worden. Robbert Engels, Product Lead Port Call Optimisation, sieht weiteres Optimierungspotenzial. „Wenn immer mehr Partner Daten teilen und aktiv mit den Informationen arbeiten, die sie aus dem System erhalten, wird die Kette transparenter, können bessere Entscheidungen gefällt werden und kann man bei Abweichungen vom Plan immer besser gegensteuern. Gegenwärtig muss der Benutzer die vielen Zeiten, die in Pronto zu sehen sind, noch selbst interpretieren, aber vielleicht kann in der Zukunft der Computer dabei helfen. Je größer die Datenvolumen, desto mehr kann man machen. Selbstverständlich wurde über die Sicherung der Daten gut nachgedacht. Cyber Security wurde in das System integriert. Daten, die dem Datenschutz unterliegen, nutzen wir nicht.“
Trotzdem herrscht in Bezug auf künstliche Intelligenz nicht nur Optimismus, sondern auch Skepsis. In der Praxis führen selbst lernende Roboter manchmal zu Problemen. Der Google Assistent lernte es zu fluchen, weil er auch von Menschen Input bekommt, die Schimpfwörter benutzen. Amazon zog den Stecker bei einem Bewerbungsroboter, der Frauen diskriminierte. „Amazon hat in den letzten zehn Jahren vor allem Männer eingestellt“, sagt Leege. „Der Computer erkannte dieses Muster in den Daten-Sets und setzte es einfach fort. Voraussagen sind schwierig und auch ein Computer macht manchmal Fehler. Bei Pronto haben wir uns jedoch nicht für eine Black Box-Vorgehensweise entschieden. Es wurde gut über die Faktoren nachgedacht, die maßgeblich dafür sind, dass Schiffe eine bestimmte Entfernung zurücklegen. Wir stellen dem Computer für seine Voraussagen zuverlässige Parameter zur Verfügung. Theoretisch können wir sogar pro Voraussage zeigen, wie sie zustande gekommen ist.“
Quelle und Grafik: Port of Rotterdam