Die neue Emscher kommt!

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„Wasser wertschätzen“ lautet in diesem Jahr das Motto des Weltwassertages, zu dem die Vereinten Nationen (UN) alljährlich am 22. März aufrufen. Die Emschergenossenschaft lässt sich nicht lange bitten und gibt zum Weltwassertag den Fahrplan für die Abwasserfreiheit in der Emscher bekannt. Bis zum Ende dieses Jahres soll der zentrale Fluss im Ruhrgebiet komplett von seiner Schmutzwasserfracht befreit sein – eine größere Wertschätzung könnte sich die Emscher nicht wünschen!

Ende 2021 wird die Emscher zum ersten Mal seit mehr als 170 Jahren von ihrer Abwasserfracht befreit sein! Seit zirka 1850 prägten offene Schmutzwasserläufe das Bild des Ruhrgebietes. Im Zuge des Strukturwandels im Revier nahm seit 1992 sein symbolträchtigstes Vorhaben Fahrt auf: das Generationenprojekt Emscher-Umbau. 30 Jahre, versprach die Emschergenossenschaft beim Beschluss des Vorhabens Ende 1991, würde diese Mammutaufgabe in Anspruch nehmen. „Wir sind voll im Zeitplan: Genau drei Jahrzehnte nach der visionären Entscheidung für dieses Jahrhundertprojekt wird Ende 2021 kein Tropfen Abwasser mehr in die Emscher eingeleitet werden“, sagt Prof. Dr. Uli Paetzel, Vorstandsvorsitzender der Emschergenossenschaft.

Die künftige abwassertechnische Hauptschlagader der Region ist der unterirdische Abwasserkanal Emscher (AKE), der 51 Kilometer weit von Dortmund bis Dinslaken reicht. Er ist bereits auf ganzer Länge verlegt. Im 35 Kilometer langen Abschnitt zwischen Dortmund und Bottrop ist der AKE seit September 2018 bereits in Betrieb. Stück für Stück sind seitdem bereits große Nebenläufe wie zum Beispiel der Nettebach in Dortmund, der Hellbach in Recklinghausen oder der Ostbach in Herne an den unterirdischen Sammler angeschlossen worden. Die Emscher führt dadurch bereits deutlich weniger Abwasser als zuvor. Zahlreiche weitere Einleitstellen sind anschlussbereit, die Emschergenossenschaft nimmt das weltweit einzigartige Kanalsystem jedoch bewusst Stück für Stück in Betrieb.

Damit die „abwassertechnische Hauptschlagader“ auf der Gesamtstrecke bis Dinslaken geflutet werden kann, ist ein sprichwörtliches Herzstück notwendig: das Pumpwerk Oberhausen (siehe Info-Kasten). „Gemeinsam mit dem AKE wird es ab diesem Sommer die Emscher zu neuem Leben erwecken“, so Paetzel.

Deutschlands künftig größtes Schmutzwasserpumpwerk entsteht zurzeit in Oberhausen-Biefang und befindet sich in der Fertigstellung. Das Gebäude (Hoch- und Tiefbau) ist bereits errichtet. Ganz aktuell wird die Maschinen- und Elektrotechnik installiert. „Ab dem Frühjahr werden wir das Pumpwerk auf Herz und Nieren testen, bevor es dann im Sommer in den Vollbetrieb gehen kann: Insgesamt sind zehn mächtige Pumpen nötig, um künftig das Abwasser aus einer Tiefe von rund 40 Metern zu heben – mit einer Maximalleistung von 16.500 Litern pro Sekunde“, sagt Dr. Emanuel Grün, Technischer Vorstand bei der Emschergenossenschaft.

Die vollständige Inbetriebnahme des Pumpwerks Oberhausen plant die Emschergenossenschaft nach aktueller Planung für August 2021 – es wird der größte und wichtigste Meilenstein in der Geschichte des Emscher-Umbaus sein. Sobald das Pumpwerk läuft, können sukzessive bis Ende 2021 alle noch verbliebenen Abwassereinleitungen in die Emscher an den unterirdischen AKE angebunden werden. Die Aktivitäten in Oberhausen sind somit bedeutend für alle anderen Emscher-Kommunen. Einmal in Gänze in Betrieb genommen wird das Kanalsystem trennen, was nicht zusammengehört: Sauberes Fluss- und Regenwasser wird offen in und durch die Emscher fließen, das Abwasser dagegen unterirdisch durch Kanäle in Richtung der Kläranlagen transportiert.

Damit endet nach rund drei Jahrzehnten das Generationenprojekt Emscher-Umbau, in den die Emschergenossenschaft dann mehr als fünf Milliarden Euro zur Aufwertung der Lebens- und Aufenthaltsqualität in der Region investiert haben wird. „Der Umbau der Emscher steht symbolisch für die nachhaltige Transformation des Ruhrgebietes. Gleichwohl ist der Emscher-Umbau aber nicht der Abschluss dieser Transformation – sondern erst der Auftakt für weitere Veränderungen in unserer Region! Der Strukturwandel muss über das laufende Jahr hinaus weitergedacht werden! Gemeinsam müssen wir nun die Herausforderungen und Probleme der kommenden Jahrzehnte identifizieren, um Lösungen zu finden. Die Zukunft des Ruhrgebietes beginnt gerade erst“, sagt Uli Paetzel und verweist auf die Internationale Bauausstellung (IBA) Emscher-Park Anfang der 1990er-Jahre als ähnlich gelagerten Prozess.

Zahlreiche Chancen und Potenziale hat das wasserwirtschaftliche Projekt bereits aufgedeckt. Die Renaturierung der Emscher hat die Stadt Dortmund zum Bau des Phoenix Sees im Stadtteil Hörde inspiriert. Der See ist heute nicht nur ein Touristenmagnet und beliebtes Naherholungsgebiet, sondern ganz nebenbei auch ein Hochwasserrückhaltebecken für die Emscher. Am Ufer des Flusses im nördlichen See-Bereich wird seit 2012 Wein angebaut – auch dies ist ein Symbol für den Aufbruch im Ruhrgebiet: Wenn an einer ehemaligen Kloake Wein angebaut werden kann, dann geht bestimmt noch mehr….

Der städtebauliche Effekt des Emscher-Umbaus zeigt sich heute auch in den zahlreichen ehemaligen, einst verschlossenen Betriebswegen entlang der Gewässer, die von der Emschergenossenschaft geöffnet und zu heute stark frequentierten Radwegen ausgebaut wurden: Rund 130 Kilometer an Radwegen sind so bereits entstanden, denn die neue grün-blaue Infrastruktur an der Emscher soll schließlich erleb- und erfahrbar sein – wie zum Beispiel am Wasserkreuz in Castrop-Rauxel, wo die Emscher den Rhein-Herne-Kanal unterquert: Dort baut die Emschergenossenschaft gemeinsam mit ihren Partnerkommunen einen Natur-und-Wasser-Erlebnispark mit renaturiertem Suderwicher Bach, neu gestalteter Emscher – und weiteren Weinbergen!

Städtebaulich ergänzt wird das Areal in Kürze durch den Bau der 412 Meter langen Brücke „Sprung über die Emscher“! Der neu entstehende „Platz der Schichten“ verweist auf die Wasserstraßen unterhalb der Brücke: der Rhein-Herne-Kanal, die Emscher und in der Tiefe der unterirdische Abwasserkanal Emscher (AKE). Startschuss für das prestigeträchtige Projekt ist bereits am 1. April 2021.

Den vermutlich größten Einfluss hat der Emscher-Umbau in den vergangenen rund 20 Jahren auf die Anpassung der Region an die Folgen des Klimawandels gehabt. Bereits zu Beginn des Jahrtausends mahnte die Emschergenossenschaft einen nachhaltigen Umgang mit Regenwasser an. Einerseits, um Überflutungen nach Starkregenereignissen zu vermeiden – andererseits, um bereits renaturierte Gewässer in Hitzephasen vor dem Austrocknen zu bewahren.

Im Fokus des Ruhrkonferenz-Projekts ‚Klimaresiliente Region mit internationaler Strahlkraft‘ stehen aktuell Maßnahmen, die alle dem Ziel dienen, bis 2040 mindestens 25 Prozent der befestigten Flächen vom Kanalnetz abzukoppeln und den Verdunstungsgrad bis 2040 um zehn Prozent in der Region zu erhöhen. Damit setzt die Emschergenossenschaft fort, was bereits seit 2004 erfolgreich mit Kooperationen wie der „Zukunftsvereinbarung Regenwasser“ sowie der Zukunftsinitiative „Wasser in der Stadt von morgen“ begonnen wurde – auch hier arbeiteten das Land, die Kommunen sowie die Emschergenossenschaft zusammen.

Bis Ende 2021 wird die Emschergenossenschaft nicht nur die Emscher komplett vom Abwasser befreit haben. Zahlreiche bereits abwasserfreien Abschnitte – an der Emscher, aber auch an den Nebenläufen – sind auch schon renaturiert worden; obwohl dies nach der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie erst bis 2027 geschehen muss. Idyllische Flusslandschaften gibt es unter anderem an diesen Gewässern: gesamter Emscher-Oberlauf in Holzwickede und Dortmund inkl. aller Nebengewässer, Deininghauser Bach in Castrop-Rauxel, Hellbach-System in Recklinghausen, Ostbach in Herne, Resser Bach in Herten, Hofsteder Bach in Bochum, alle Gewässer in Gladbeck, Kirchschemmsbach in Bottrop, Borbecker Mühlenbach in Essen, Läppkes Mühlenbach in Oberhausen sowie die Emscher-Altarme in Duisburg. Sämtliche bereits ökologisch umgestalteten Abschnitte der Emscher und ihrer Nebenläufe stellt die Emschergenossenschaft seit Anfang des Jahres jeweils dienstags auf ihren Social-Media-Kanälen vor.

Im Zuge der Renaturierung hat sich die Artenvielfalt in und an den Gewässern seit Anfang der 1990er-Jahre (rund 170 Arten) nahezu verdreifacht – heute sind es rund 500 Arten, die in das Emscher-Gebiet zurückgekehrt sind. In der Emscher leben längst wieder Forellen, Groppen und Stichlinge. Der Eisvogel als Indikator einer guten Gewässerqualität fühlt sich mittlerweile an den Ufern der Emscher und ihrer Nebengewässer genauso wieder zuhause wie die Gebirgsstelze und die sogenannte Blauflügelige Prachtlibelle – der Emscher-Umbau hat es möglich gemacht!

Im Zuge des Emscher-Umbaus hat die Emschergenossenschaft stets auch ein nachhaltiges Energiemanagement im Blick. Als Projekt im Rahmen der „Innovation City Ruhr“ wurde im vergangenen Jahrzehnt die in den 1990ern neugebaute Kläranlage Bottrop weitestgehend energieautark gestaltet. Ein Bestandteil des sogenannten Hybridkraftwerks Emscher ist neben einer Windenergieanlage und modernen Blockheizkraftwerken die weltweit größte Anlage für solarthermische Klärschlammtrocknung (STT). Seit Dezember ist sie im Probebetrieb. Die offizielle Einweihung und Inbetriebnahme der STT findet im Juli statt.

Der öffentlich-rechtlichen Emschergenossenschaft war es schon immer wichtig, dass die Bevölkerung an den Umbauprojekten beteiligt wird bzw. von den Ergebnissen profitiert. „Die Emscher ist der Fluss mit Plus: Ihr Umbau bietet Mehrwert-Effekte für Natur und Menschen“, so Uli Paetzel. Zahlreiche Mitmach-Projekte wie die vielen Blauen Klassenzimmer an der Emscher und ihren Nebenläufen sowie Beteiligungsprozesse wie bei der Renaturierung des Katernberger Bachs in Essen oder der Außengestaltung des Pumpwerks Oberhausen waren dabei erst der Anfang. „Mit dem Erreichen der Abwasserfreiheit in der Emscher werden wir den Menschen ihren Fluss zurückgeben“, kündigt Uli Paetzel an.

Die Emschergenossenschaft arbeitet aktuell an mehreren Partizipationsformaten, bei denen sich die Menschen im Emscher-Gebiet künftig noch intensiver in die Entwicklung ihrer Region einbringen können. Details dazu wird die Emschergenossenschaft im Sommer nach der Inbetriebnahme des Pumpwerks Oberhausen bekanntgeben. Uli Paetzel dazu: „Erst die Pflicht, dann die Kür – aber man darf bereits sehr gespannt sein. Die neue Emscher kommt!“

Der 51 Kilometer lange Abwasserkanal Emscher, der das Schmutzwasser aus den Zuflusskanälen aufnimmt, besteht aus Stahlbeton-Rohren mit Innendurchmessern zwischen 1,60 und 2,80 Meter. In acht bis 40 Metern Tiefe fließt das Abwasser mit einer Geschwindigkeit von vier Kilometern in der Stunde. Dafür ist ein Gefälle von 1,5 Promille notwendig. Würde der Kanal mit diesem Gefälle in einer Linie verlaufen, würde er Dinslaken in 80 Metern Tiefe erreichen – zu tief, um das Abwasser anschließend in die Kläranlage Emscher-Mündung im Städte-Dreieck Oberhausen, Duisburg und Dinslaken zu heben. Das Gefälle wird künftig stattdessen durch drei gigantische Pumpwerke ausgeglichen: in Gelsenkirchen, Bottrop und in Oberhausen. Die Anlagen in Gelsenkirchen und Bottrop sind bereits im September 2018 an den Start gegangen. Auf das Bauwerk in Oberhausen schaut aktuell nun die gesamte Region…!

Die Emschergenossenschaft ist ein öffentlich-rechtliches Wasserwirtschaftsunternehmen, das effizient Aufgaben für das Gemeinwohl mit modernen Managementmethoden nachhaltig erbringt und als Leitidee des eigenen Handelns das Genossenschaftsprinzip lebt. Sie wurde 1899 als erste Organisation dieser Art in Deutschland gegründet und kümmert sich seitdem unter anderem um die Unterhaltung der Emscher, um die Abwasserentsorgung und -reinigung sowie um den Hochwasserschutz.

Seit 1992 plant und setzt die Emschergenossenschaft in enger Abstimmung mit den Emscher-Kommunen das Generationenprojekt Emscher-Umbau um, in das über einen Zeitraum von rund 30 Jahren prognostizierte 5,38 Milliarden Euro investiert werden. www.eglv.de

Quelle und Foto: Emschergenossenschaft

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