COVID-19 hat sich bereits auf über 140 Länder ausgebreitet und vielerorts steigt die Infektionskurve steil an. Obwohl an der Entwicklung von Impfstoffen gerarbeitet wird und erste Anwendungen Erfolge zeigen, sind die Auswirkungen immens und besorgniserregend. Abgesehen von seiner Wirkung auf den Menschen hat das Coronavirus auch das Potenzial, eine Wirtschaftskrise zu verursachen. Analysten erwarten negative Effekte quer durch die Wirtschaft, von Logistik-Engpässen und Fabrikschließungen bis hin zu sinkenden Unternehmensinvestitionen und Konsumausgaben.
Wir bei Roland Berger bewerten laufend das Störungspotenzial für die Weltwirtschaft, mit einem besonderen Augenmerk auf Lieferketten und spezielle Branchen. Die untenstehende Analyse beleuchtet, wie die Ausbreitung des Virus das Wirtschaftswachstum in Schlüsselregionen (China, den Vereinigten Staaten, der Europäischen Union) und wichtigen Wirtschaftszweigen (Automobil-, Maschinenbau-, Logistik-, Pharma-Branche) beeinflusst. Wir entwickeln daraus drei Szenarien, wie die Situation sich in 2020 und 2021 entwickeln könnte, von einer schnellen Erholung bis hin zu einer tiefgreifenden, durch das Coronavirus ausgelösten Rezession.
Für China, das lange im Zentrum des Coronavirus-Ausbruchs stand, sagen wir vorher, dass das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2020 schlimmstenfalls bis zu 3,5 Prozentpunkte sinken könnte. Unser Szenario „Tiefgreifende Rezession“ sagt darüber hinaus eine zweite Ausbruchs-Welle im Jahr 2021 voraus, wodurch neue Infektionsherde außerhalb der Provinz Hubei auftreten und Quarantäne-Maßnahmen auf andere Regionen ausgeweitet werden. Die Versorgung wird ernsthaft beeinträchtigt, Fabriken bleiben geschlossen und Firmen gehen bankrott, aber finanzpolitische und geldwirtschaftliche Reaktionen fördern erst im Q3 2020 wieder das Wachstum. In unserem moderateren Szenario „Verzögerte Heilung“ verlangsamt sich die Rate der Neuinfektionen, aber Quarantänen bleiben bestehen und verursachen Versorgungsengpässe, sowie sinkende Binnennachfrage und Exporte. In unserem optimistischsten Szenario „Schnelle Erholung“ sind die Maßnahmen der chinesischen Regierung effektiv, Quarantänen werden schnell aufgehoben und die Produktion kann bald wieder zur Normalität zurückkehren, wodurch die Nachfrage nur kurzfristig sinkt.
Als größten Handelsblock der Welt könnte Europa ein ausgedehnter Corona-Ausbruch besonders schwer treffen. Unser Worst-Case-Szenario sagt vorher, dass das Virus erst 2021 komplett eingedämmt werden kann. Das Gesundheitssystem wird Kapazitätsgrenzen erreichen und die Produktion wird in mehreren Branchen ausgesetzt. Im Szenario „Verzögerte Heilung“ sind Lieferketten zwischen Asien und Europa gefährdet, die besonders wichtig für pharmazeutische Rohstoffe und Elektronik sind. Wesentliche Lieferketten innerhalb Europas beginnen ebenfalls zusammenzubrechen. Wir werden einen vorübergehenden Einbruch sowohl der Nachfrage als auch der Investitionen sehen. Im optimistischen Szenario „Schnelle Erholung“ gibt es nur in bestimmten Bereichen Störungen, der Versorgungsengpass fällt weniger schwer aus, die heimische Produktion ist nur in Italien betroffen und die Nachfrage sinkt nur in wenigen Branchen, wie Reise und Tourismus.
Mit ihrem starken Fokus auf den Binnenmarkt und der Ausrichtung auf Dienstleistungen werden die Vereinigten Staaten vermutlich wirtschaftlich weniger schwer betroffen sein als andere Regionen. Unser Worst-Case-Szenario projiziert zwar schwerwiegende Auswirkungen auf die NAFTA-Lieferketten und verringerten Konsum, sowie ein resultierendes BIP-Minus von 2,8 Prozent im Jahr 2020. In unserem moderaten Szenario jedoch werden Lieferketten nur in einigen Branchen unterbrochen und finanzpolitische wie geldwirtschaftliche Stimuli sind zu erwarten, da dieses Jahr eine Wahl ansteht. Im Best-Case-Szenario sehen wir gar kein verlangsamtes BIP-Wachstum, die Binnennachfrage bleibt stabil und die Wirtschaft läuft weiter wie gehabt.
Die Auswirkungen von COVID-19 auf verschiedene Wirtschaftszweige hängen von unterschiedlichen Angebots- und Nachfrage-Mustern ab. Die Automobilbranche, die bereits durch schleppendes Wachstum im Jahr 2019 geschwächt wurde, erfährt wahrscheinlich den größten Abschwung. Die Bruttowertschöpfung (BWS) könnte 2020 im Worst-Case-Szenario bis zu 10,6 Prozentpunkte fallen, verglichen mit dem Basis-Szenario ohne COVID-19-Einfluss, wodurch Automobilverkäufe um 10 Prozent stärker sinken würden als vorhergesagt und aufgrund der gestörten Lieferketten keine Erhöhung möglich wäre. Im moderaten Szenario „Verzögerte Heilung“ folgt auf ein signifikantes Verkaufstief aufgrund von Bauteil- Engpässen und Problemen mit der Lieferkette im H1 2020 ein Produktionsanlauf im Q4 2020, wodurch der Effekt übers Jahr minimiert wird. Im Szenario „Schnelle Erholung“ folgt auf einen kleinen Abfall im Verkaufsvolumen im H1 2020 ein ausgleichender Produktionsanlauf im H2 2020.
Die Maschinenbaubranche wird sowohl Angebots- als auch Nachfrageschocks bis Q1 2021 erfahren, schlimmstenfalls mit Folgeeffekten, die sich nicht vor Q2 2021 einstellen. Im moderaten Szenario wird der Angebotsschock durch die sinkende Nachfrage verschlimmert, aber die Erholung folgt im Q4 2020. Im Best-Case-Szenario verursacht die Schließung chinesischer Fabriken nur einen geringen Schock, wobei der Versorgungsengpass teils durch Inventar abgefangen werden kann; der Aufholeffekt stellt sich ein, sobald die Versorgungslage sich im Q2 2020 erholt.
Die Logistikbranche reagiert unmittelbar auf jegliche Schwächung der Handelsströme, was die Branche besonders anfällig für die negativen Auswirkungen von COVID-19 macht. Schlimmstenfalls sieht das Szenario „Tiefgreifende Rezession“ ein schwerwiegendes Nachfragetief vorher, bei dem die Erholung erst mit einem Gesamtwirtschaftswachstum im H1 2021 stattfindet. Das moderate Szenario sagt ausgedehnte Produktions-Stillstände voraus, die die Nachfrage nach Logistik-Dienstleistungen langfristig senken. Der Branche drohen auch Risiken durch weitere ausgeweitete Grenzschließungen. Im Best-Case-Szenario zeigt sich die größte Auswirkung in China, aufgrund der Quarantänemaßnahmen und der Abriegelung ganzer Provinzen.
Zuletzt wird die Pharmabranche zunehmend eine Belastung der Lieferketten erleben, aber eine anhaltende Nachfrage sollte für weiteres Wachstum sorgen. Schlimmstenfalls bleiben die Wachstumsraten der schwachen Weltwirtschaft entsprechend niedrig, solange nicht essentielle Einkäufe aufgeschoben werden. Im moderaten Szenario verlangsamt sich das Wachstum aufgrund von Versorgungsschocks, aber die Nachfrage bleibt stabil. Im Falle einer schnellen Erholung dürften etwaige Produktionsausfälle durch Lagerbestände überbrückt werden, gefolgt von einem schnellen Produktionsanlauf frühestens im Q2 2020. In diesem optimistischen Szenario sind die Auswirkungen auf Europa und die Vereinigten Staaten gering.
Roland Berger beobachtet täglich die Auswirkungen, die die Ausbreitung von COVID-19 hat. Für die neuesten Updates und eine detaillierte Analyse der Effekte auf Ihrer Region oder Branche kontaktieren Sie bitte info@rolandberger.com.
Quelle und Foto: Roland Berger