Allerdings unterstreichen aktuelle Vorfälle wie die Kollision des Öltankers „Sanchi“ oder die NotPetya-Attacke auf die weltweite Hafenlogistik, dass die Schifffahrtsbranche trotz des positiven Sicherheitstrends mit neuen Risiken konfrontiert ist.
2017 wurden insgesamt 94 Totalverluste von Schiffen über 100 Bruttotonnen gemeldet. Das entspricht einem Rückgang von vier Prozent im Vorjahresvergleich (98) und ist die zweitniedrigste Zahl in den letzten zehn Jahren nach 2014. Unwetter, wie Taifune in Asien und Hurrikanes in den USA, waren allein für den Verlust von über 20 Schiffen verantwortlich.
„Der langfristige Abwärtstrend bei den Totalverlusten setzt sich fort. Verbesserungen im Schiffsdesign sowie die positiven Folgen von Sicherheitsvorschriften und Risikomanagement an Bord führten zuletzt zu vergleichsweise moderaten Versicherungsschäden“, so Volker Dierks, der bei AGCS Zentral- und Osteuropa für die Schiffsversicherung verantwortlich ist. Für die Zukunft erwartet er eine Verlagerung der Schadenursachen: „Die Zahl eher technisch bedingter Schäden durch Cyberereignisse oder technische Defekte wird im Vergleich zu den traditionellen Verlusten durch Kollisionen steigen.“
Fast ein Drittel der Schifffahrtsverluste (30) im Jahre 2017 ereignete sich in den Gewässern um Südchina, Indochina, Indonesien und den Philippinen; dies entspricht einer Steigerung um 25 Prozent im Jahresvergleich – vor allem getrieben durch Schäden in Vietnam. Manche Branchenexperten sprechen von einem „neuen Bermudadreieck“. Die meisten Totalverluste ereigneten sich in Folge von Unwettern, gefolgt von hohem Verkehrsaufkommen und geringeren Sicherheitsstandards auf einigen Inlandsrouten. Das östliche Mittelmeer und die Schwarzmeerregion sind das zweitgrößte Gefahrengebiet (17), gefolgt von den Britischen Inseln (8). Schiffsunfälle rund um den arktischen Polarkreis nahmen um 29 Prozent zu, oft waren sie auf Maschinenschäden zurückzuführen.
Frachtschiffe (53) verbuchten 2017 mehr als die Hälfte aller Schiffsverluste weltweit. Die Zahl der Verluste bei Fischerei- und Passagierfahrzeugen ging im Vorjahresvergleich zurück. Die häufigste Ursache weltweiter Verluste bleibt Schiffsuntergang mit 61 Fällen im Jahre 2017. Havarierte oder gestrandete Schiffe kommen an zweiter Stelle (13), gefolgt von Maschinenschaden/-ausfall (8). Die Analyse zeigt weiter, dass Freitag der gefährlichste Tag zu See ist – 175 der 1.129 gemeldeten Totalverluste fielen in der letzten Dekade auf diesen Tag. An einem Freitag, den 13., sanken in den letzten zehn Jahren sogar drei Schiffe, darunter 2012 auch die Costa Concordia, die als größter Schifffahrtsversicherungsschaden aller Zeiten gilt.
Trotz jahrzehntelanger Verbesserungen bei der Sicherheit gibt es im Schifffahrtssektor keinen Anlass zur Selbstgefälligkeit. Verhängnisvolle Unfälle wie die Kollision des Öltankers „Sanchi“ im Januar 2018 und der Schaden von El Faro in Zusammenhang mit dem Hurrikan Joaquin Ende 2016 gibt es immer wieder, und nicht selten ist menschliches Versagen im Spiel. Auch gehen 75 Prozent der von der AGCS untersuchten 15.000 Haftpflichtversicherungsschäden in der Schifffahrt, die Kosten von 1,6 Mrd. USD verursachten, gehen auf menschliches Versagen zurück.[1]
„Menschliches Versagen ist nach wie vor eine der Hauptursachen für Unfälle“, sagt Kapitän Rahul Khanna, Global Head of Marine Risk Consulting bei der AGCS. „Unzureichende landseitige Unterstützung und Wettbewerbsdruck spielen eine wesentliche Rolle bei der Gefahrenlage in der Seefahrt. Straffe Zeitpläne können sich ungünstig auf die Sicherheitskultur und die Entscheidungen an Bord auswirken.“
Cyberereignisse – wie im Falle der weltweit eingesetzten NotPetya-Schadsoftware – haben die Schifffahrtsbranche wachgerüttelt. Viele Schiffsbetreiber wähnten sich bisher in Sicherheit. „Mit der Zunahme der Technologie an Bord steigen auch die potenziellen Risiken“, erklärt Khanna. Neue Bestimmungen der Europäischen Union wie die Richtlinie für Netz- und Informationssicherheit (NIS) verlangen, dass große Häfen und Seeverkehrsdienste jegliche Cyberereignisse melden, und sehen auch Geldstrafen bei Verstößen vor. Khanna: „Die momentan unzureichende Meldung von Ereignissen verschleiert die Realität, die neue NIS-Richtlinie wird das wahre Ausmaß der Cyberrisiken in der Schifffahrt offenlegen.“
Die AGCS Safety & Shipping Review thematisiert zahlreiche weitere Risiken für die Schifffahrt:
– Bekämpfung des Brandrisikos bei Containerschiffen wird fortgesetzt: Die Containertransportkapazität ist in 50 Jahren um fast 1.500 Prozent gestiegen. Die heutigen „Mega-Schiffe“ schaffen neue Risiken – so kam es in den letzten Jahren zu etlichen Schiffsbränden auf hoher See. Die Kapazitäten zur Brandbekämpfung haben mit den steigenden Schiffsgrößen nicht unbedingt Schritt gehalten.
– Klimawandel führt zu neuen Gefahren bei den Transportrouten: Der Klimawandel wirkt sich auf Schifffahrtsrouten aus: In manchen Gebieten werden durch die Erwärmung neue Handelsrouten eröffnet, während das Vereisungsrisiko andernorts steigt. Über 1.000 Eisberge drifteten im vergangenen Jahr zu den Schifffahrtswegen im Nordatlantik ab[2] und sorgten so für potenzielle Kollisionsgefahren. Frachtvolumina auf der Nordseeroute erreichten 2017 ein Rekordhoch.
– Emissionsvorschriften schaffen Probleme: Schätzungen zufolge ist das Emissionsniveau in der Schifffahrt so hoch wie das der deutschen Industrie. Die Branche hat sich zum Ziel gesetzt, alle Emissionen langfristig um 50 Prozent zu senken, parallel zu den bestehenden Zusagen, den Schwefeldioxidausstoß bis 2020 zu reduzieren. Die dazu eingesetzten technischen Lösungen schaffen jedoch wieder eigene Gefahren wie z. B. bei den Motoren, der Lagerung von Biotreibstoffen sowie mangelnder Schulung der Crews.
– Autonome Schifffahrt und Drohnen: Rechtliche und (Cyber-)Sicherheitsfragen beschränken einstweilig die Wahrscheinlichkeit des breiten Einsatzes von Schiffen ohne Besatzung. Denn die Gefahr menschlichen Versagens wird auch durch Entscheidungsalgorithmen und Überwachungsstützpunkte auf dem Festland weiter bestehen. Drohnen und kleine Unterseeboote können einen erheblichen Beitrag zur Sicherheit in der Seefahrt und zum Risikomanagement leisten. Denkbar ist ihr Einsatz bei der Bewertung von Umweltverschmutzungen, Inspektionen von Ladetanks, der Überwachung von Piraterie und oder der Beurteilung des Zustands eines Schiffkörpers im Falle einer Grundberührung.