Ein badischer Ingenieur und europäischer Wasserbaupionier: Johann Gottfried Tulla – dessen Geburtstag sich am 20. März zum 250. Male jährt – hat als Mastermind der Begradigung des Rheins Geschichte geschrieben. In den Geo- und Umweltwissenschaften sowie im Bauingenieurwesen knüpfen Forscherinnen und Forscher des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) an Tullas Erbe noch heute an.
„Selbst aus heutiger Sicht war Tullas Rheinbegradigung ein wasserbauliches Mammutprojekt. Zurückgreifen konnte er dabei nur auf seine Erfahrungen bei der Begradigung kleinerer Fließgewässer im süddeutschen Raum – eine durchaus spärliche Datenbasis. Die Folgen der Begradigung für den Hochwasserschutz und die Ökologie konnte Tulla hingegen noch nicht belastbar absehen. Hier setzt die heutige Forschung zur Gewässerentwicklung an“, sagen Professor Franz Nestmann und Dr. Frank Seidel vom Institut für Wasser und Gewässerentwicklung des KIT. „Aufbauend auf einer umfassenden Basis an Umweltdaten, erforschen wir zunächst die Prozesse und Interaktionen eines Gewässers, um in einem zweiten Schritt neue ingenieurtechnische Ansätze zu entwickeln. Nur so kann – unter Beachtung einer Vielzahl von Zieldefinitionen – die bestmögliche Prognose zur Wirkung von Eingriffen in ein Gewässersystem garantiert werden.“
„In bester Absicht hat Tullas Rheinbegradigung aus einer grandiosen Naturlandschaft einen gestreckten Kanal in einer degenerierten Auenlandschaft gemacht. Der Preis der damit angestoßenen positiven wirtschaftlichen Entwicklung ist ein dramatischer naturräumlicher Verlust. Erst seit wenigen Jahrzehnten lernen wir Funktionen und Wert der Ressource ‚Flussauenlandschaft‘ verstehen und schätzen. In Anwendung dieser Erkenntnisse erforscht das Aueninstitut des KIT aktuell, wie wir dem Rhein seine dynamischen Prozesse möglichst weitgehend zurückgeben und gleichzeitig die vielen Nutzungsansprüche einer Industriegesellschaft zufriedenstellen können. Wir sind überzeugt, dass eine Versöhnung von Tullas Rheinbegradigung mit den Ansprüchen einer dynamischen Naturlandschaft in definierten Grenzen möglich ist“, so Dr. Christian Damm vom Institut für Geographie und Geoökologie – Abteilung Aueninstitut des KIT.
„Das Wirken Johann Gottfried Tullas war vielschichtig. Eine seiner Rollen, die er als leitender Beamter des Großherzogtums Baden innehatte, war die des Vermessers“, erläutert Dr. Norbert Rösch vom Geodätischen Institut des KIT. „Auf seine Initiative hin wurde in Baden ein modernes Grundlagennetz angelegt. Ziel war die Erfassung der Topografie sowie sämtlicher Grundstücke, um eine gerechte Besteuerung von Grund und Boden sicherzustellen. Im Rahmen dieser Arbeiten hat Tulla ein Verfahren zur Verteilung von Messfehlern entwickelt. Dieses kann als Vorläufer des heutigen Verfahrens – welches auf Carl Friedrich Gauß zurückgeht – betrachtet werden. Ferner hat Tulla in Baden für Vermessungszwecke das Dezimalsystem sowie, durch Verknüpfung mit der badischen Rute, das aus Frankreich kommende neue Längenmaß ‚Meter‘ eingeführt.“
Im Jahr 1807 gründete Johann Gottfried Tulla die Ingenieurschule Karlsruhe. Nach seinem Tod wurde sie der 1825 gegründeten Polytechnischen angegliedert, aus der später die Universität Karlsruhe und schließlich das KIT wurde. „Johann Gottfried Tulla gehört weit über den Wasserbau hinaus zu den Pionieren, die von Karlsruhe aus die Ingenieurwissenschaften auf den Weg brachten, entscheidend gestalteten und prägten. Darauf sind wir sehr stolz“, sagt der Präsident des KIT, Professor Holger Hanselka. „Heute hat – auch und vor allem in den Ingenieurwissenschaften – der Blick auf die möglichen Auswirkungen neuer Technologien einen enorm hohen Stellenwert. Am KIT ist es unser erklärtes Ziel, Wissen für Gesellschaft und Umwelt zu schaffen. Heute stehen deshalb ganz besonders auch die Auen-Ökosysteme am Rhein, die Renaturierung und der Hochwasserschutz im Fokus unsere Forschung.“
Pünktlich zum 250. Geburtstag Tullas ist das Dokudrama „Tullas Traum – Wie der Rhein seinen Fluch verlor“ entstanden: Zu der 2019 am Oberrhein, in den Rastatter Schlössern und im Écomusée d’Alsace für SWR/ARTE gedrehten Filmbiografie haben Dr. Frank Seidel, Dr. Christian Damm und Dr. Norbert Rösch vom KIT als Fachberater und Mitwirkende maßgeblich beigetragen.
Für weitere Informationen stellt der Presseservice des KIT gern den Kontakt zu den Experten her. Bitte wenden Sie sich an Justus Hartlieb, E-Mail: justus.hartlieb@kit.edu, Tel.: 0721 608-21155, oder an unser Sekretariat (E-Mail: presse@kit.edu, Tel.: 0721 608-21105).
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Quelle: Karlsruher Institut für Technologie, Foto: WSA ORh,
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